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Christofer Varner - Trombone, Shell


Total Vibration - Liner Notes



Die Posaune ist ein großartiges Instrument. Die radikal analoge Klangerzeugung scheint völlig aus der Zeit gefallen. Die enorme physische Energie, die notwendig ist, um auf diesem Instrument Klänge entstehen zu lassen, scheint diametral entgegengesetzt zur hoch-technisierten Gegenwart zu sein. Man assoziiert bei der Posaune eher eine Nähe zu Instrumenten, die aus tiefster Vergangenheit stammen wie Stierhorn, Muschel oder Didgeridoo als zu heutigen digitalen Klangquellen.

Trotz der einfachen Bauweise verlangt die Posaune große physische und koordinative Fähigkeiten. Schnell zu erreichende Ergebnisse sind kaum möglich; auch nach jahrelangem Üben, sind andere Instrumente leichter zu kontrollieren.


Trotzdem und genau deshalb öffnet sich eine Tür zu Klangbereichen voller Energie, die auch nach Jahren digitaler Musikentwicklung, in dieser nicht zu hören sind. Innerhalb von Sekundenbruchteilen kann sich im Ton der Posaune Klangstruktur und Dynamik in einer Intensität ändern, die unmöglich verbalisiert werden kann.

Zudem haben in den letzten hundert Jahren viele Kolleg*innen daran gearbeitet, die klanglichen Möglichkeiten des Instruments zu erweitern: die Verwendung von Dämpfern verdanken wir hauptsächlich den Posaunisten des Ellington-Orchesters. Den Einsatz von Stimme in Kombination mit konventionell gespielten Tönen hat Albert Mangelsdorff sehr weit vorangetrieben. Verfremdungstechniken durch die Nutzung von Mundstücken anderer Blasinstrumente oder die Tonerzeugung nicht nur beim Ausatmen sondern auch durch eingeatmete Töne hat Vinko Globokar erforscht. Darüber hinaus haben zahlreiche Blechbläser und Blechbläserinnen Klangforschung betrieben und sind zu erstaunlichen Ergebnissen gekommen. Fast noch wichtiger als die technischen Errungenschaften sind die individuellen Spielweisen von Posaunisten wie Vic Dickenson, Jimmy Knepper, Roswell Rudd, Ray Anderson, Johannes Bauer usw., die zu einer wahren Klangexplosion auf diesem Instrument geführt haben.


Mich interessieren die archaischen Ausdrucksmöglichkeiten:

der Schrei - Stöhnen - Lachen - Energie im Fortissimo und Pianissimo. Das ist menschlicher Ausdruck jenseits von kulturellen oder geschichtlichen Zusammenhängen. Hier verdanken wir viel den Blues-Sängerinnen und Sängern des letzten Jahrhunderts, die diese Gestaltungsmöglichkeiten wieder zurück in die Hörgewohnheiten der westlichen Welt gebracht haben. Vor allem Howlin’ Wolf und Billie Holliday sind für mich Inspirationsquellen. Der sich ständig verändernde Klang ist für mich wichtiger als der gleichbleibende. Es geht um den Sound, der uns im Zentrum trifft oder anders gesagt durch Mark und Bein geht - leise und laut.


Wenn es um Klang geht, geht es auch um den Raum, in dem er entsteht. Man muss mit dem Raum spielen. Man muss wissen, was er kann oder was er gibt. Letztendlich entsteht in jedem Raum eine andere Musik. Für diese Aufnahmen habe ich mich für die romanisch - gotische Klosterkirche Auhausen im Donauries entschieden, erbaut im 13. Jahrhundert. Ein sehr spezieller Raum mit spezieller Akustik, den ich schon lange kenne. Der Raum klingt nicht nur, er arbeitet mit. Das Gebälk fängt an zu knarzen, der Wind pfeift durch Löcher und die Glocken fangen an zu läuten. All das kann man bei aufmerksamem Hören entdecken. Aufgenommen wurde mit vier Mikrophonen, zwei bei der Posaune, zwei weit weg, um möglichst viel Raum einzufangen. Diesen Raum zum klingen zu bringen, ist für mich immer wieder ein Vergnügen.


Ein Solo-Projekt ist eine besondere Herausforderung. Die inspirierende Reibung mit anderen Kolleginnen und Kollegen gibt es nicht. Man ist auf sich allein gestellt. In dieser Art von Musik ist der Spieler Erfinder und Ausführender in Personalunion. Die Arbeitsteilung zwischen Komponist und Interpret, die sich in der europäischen Musik entwickelt hat entfällt.

In der Vorbereitung für diese Aufnahmen habe ich keine Note aufgeschrieben. Das ist nicht notwendig. Die Vorbereitung fand mit dem Instrument in der Hand und im Kopf statt. Das Ergebnis ist individuell und mein persönlicher Ausdruck, an dem ich seit vielen Jahren ständig weiter arbeite. Klang, Time-Feeling, Melodik usw. sind seit langem gewachsen und der Arbeitsvorgang gleicht einem Kompositionsprozess. Da ich in dieser Arbeit nicht daran interessiert bin, für andere Musiker zu schreiben, fühle ich mich eher an die Arbeitsweise eines bildenden Künstlers erinnert. Ich könnte auch sagen: es entstehen Hörbilder.

Man spielt, trifft die musikalischen Entscheidungen zu einem bestimmten Zeitpunkt, an einem besonderen Ort, man improvisiert. Danach verklingt die Musik wieder. Das kann von niemand, auch nicht von mir selbst, wiederholt werden. Um es mit Eric Dolphy zu sagen: „When you hear music, after it’s over, it’s gone in the air. You can never capture it again.”


Besonderer Dank geht an Helgi Beggel von der das Bild auf dem Cover stammt, an Petra Morcher, die die graphische Gestaltung übernommen hat und an Constanze und Claudius Reimann von der Tonkunst Manufaktur, die vertrauenswürdige Partner waren bei der Realisierung dieser CD.


Christofer Varner